*Der Originalartikel, Neils werd Nicole,
wurde im November 2002 auf der Webseite LGK T&T
in flämischer Sprache publiziert
Ausgehend von der englischen Version
ins Deutsche übersetzt von Vivian Silver, M.D., Ph.D.
[VS update of V 07-19-05]
Nicole ist ein dreizehnjähriges Mädchen. Vor nur zwei Jahren war sie der Junge Neils. Er entschied sich, sein Geschlecht zu ändern, als er noch sehr jung war. Die Entscheidung, als Mädchen zu leben, traf er gemeinsam mit seinen Eltern. Nicole fühlt sich als Mädchen und geht auch so in die Öffentlichkeit. Die geschlechtsangleichende Operation wird sie aber erst mit 18 haben können. |
Frühe Jahre
"Es war eine große Erleichterung für uns alle, als wir vor zwei Jahren das Ergebnis der psychologischen Untersuchung von Neils von der Universität erhielten“, sagt Greet , die Mutter von Nicole im Wohnzimmer ihres Hauses. "Endlich hatten wir Klarheit. Niels war zwar noch jung, fühlte aber, dass er ein Mädchen war. Der englische medizinische Begriff hierfür ist gender dysphoria (Deutsch: Unbehagen hinsichtlich des Körpergeschlechtes, Anm.). Endlich wurde anerkannt, dass Neils eigentlich ein Mädchen sein sollte. Jetzt konnten wir offen darüber reden. Selbst mein Mann, der immer streng darauf bestanden hatte, dass Neils ein Junge war, sagte: ‚Okay, wenn es denn so ist, dann ist es eben so'.“
Selbst als Neils noch sehr jung war, bemerkte Greet bereits, dass er sich von ihrem anderen Sohn unterschied. "Er war ein ruhiges, sanftes, anhängliches und in sich gekehrtes Kind. Als er drei Jahre alt war, wollte er so sein wie seine ältere Schwester und ihre Kleider und Röcke tragen." Trotz der Altersdifferenz – seine Schwester ist acht Jahre älter, spielten sie immer sehr lieb miteinander. Als Kleinkind und als er schon in der Schule war, konnte man ihn immer in der Puppenecke finden. Und zu seinem fünften Geburtstag wollte er nichts anderes als eine Barbie- Puppe. "Ich fand das damals nie eigenartig oder machte mir tiefgründige Gedanken darüber. Es schien halt für Neils normal zu sein.“
Untersuchung
Als Neils 6 war, fing er an darüber zu sprechen, in der Öffentlichkeit als Mädchen zu erscheinen. Er wurde ängstlich und fing an, in der Schule und später nachts im Bett einzunässen. Seine Eltern waren besorgt und gingen mit ihm zum Urologen. Dieser machte alle möglichen Untersuchungen, konnte aber keine körperlichen Auffälligkeiten finden. Die Eltern versuchten alles um Neils herum zu verändern, um zu sehen, ob es helfen würde. Die Probleme bestanden aber weiterhin. Mit 8 Jahren hatte er dann einen psychologischen Test. Das Ergebnis war eine Überraschung: "Wir denken, dass Niels als Mädchen glücklicher wäre.", fasst der Psychologe der Untersuchergruppe zusammen. "Wir denken, dass er sein Geschlecht ändern und ein Mädchen werden kann, wenn er seinen Gefühlen folgen darf.“
Mädchenhaft
Greet sagte: "Zuerst war ich zu Tode erschrocken. Ich wusste gar nicht, dass
es so etwas geben kann, geschweige denn, dass so was bei einem männlichen
Kind überhaupt möglich sein sollte. Mein Mann konnte das auch kaum
akzeptieren. Erst einmal sagten wir nichts zu Neils. Ich fing an, ihn sehr
scharf zu beobachten. Mal dachte ich, dass es wahr sein könnte und dann
wieder: 'Nein, das kann nicht sein!' In dieser Zeit wollte Neils immer, wenn
er von der Schule nach Hause kam, einen Rock tragen. Sobald er kam, zog er
ihn an. Wenn mein Mann dann kam, musste Neils den Rock wieder ausziehen.
Mein Mann verabscheute die Tatsache, dass sein Sohn gerne Röcke trägt. Er
verlangte von Niels, nie wieder einen Rock anzuziehen. Da waren aber noch so
viele andere Dinge. Ich versuchte auch, Neils davon abzubringen, wie ein
Mädchen zu spielen. Er sollte seine Einstellung ändern. Er war aber nun mal
so mädchenhaft. ‚Was soll ich nur tun?’, dachte ich und war völlig
verzweifelt. Zwei Jahre lang hatte ich innere Kämpfe durchzustehen und
traute mir sogar, mit guten Freunden darüber zu reden. Die meinten, das sei
ungewöhnliches Verhalten, konnten mir aber auch nicht sagen, wie ich damit
umgehen soll. Sie hörten mir jedoch immer zu und ließen mich offen darüber
reden."
Anerkennung
Die Anerkennung des Problems kam, als Greet eine Fernsehsendung über Kinder
mit transsexuellen Gefühlen sah. „Die Jungen im Fernsehen waren genauso wie
Neils und spielten glücklich mit Puppen und allen möglichen Mädchendingen.
Als ich das sah, wurde mir klar, dass ich etwas tun muss.“ Über die
Berdache- Organisation (eine Selbsthilfegruppe von Eltern von Kindern mit
abweichender Geschlechtsidentität in den Niederlanden) kam sie in Kontakt
mit Professor Cohen, einer Spezialistin auf diesem Gebiet. Greet verabredete
sich mit ihr. Aber ihre Zweifel blieben:' Würde es das Richtige für Neils
sein?'
Fotos
Als Greet den Kaffee gebracht hatte, sahen wir uns Fotos an. Zwei Mädchen
kamen herein. Es waren Nicole und ihre Schwester Ciska (21). Sie setzten
sich zu uns. Nicole trug ihr langes blondes Haar als Pferdeschwanz. Sie
hatte Jeans und ein weißes Shirt an, ein sportliches dreizehnjähriges
Mädchen mit etwas Lidschatten. Das Fotoalbum lag auf dem Tisch. „Sieh nur“,
sagte Nicole, "auf diesem Foto war ich vier". Sie zeigte uns ein Foto eines
kleinen blonden Jungen. Ciska blätterte weiter und begann zu lachen. „Und
hier ist Nicole! Als du Mimi geheiratet hast, den Plüschbären, und ich war
die Standesbeamte. Und hier... mit deinem blauen Lieblingsrock. Eigentlich
war es ja mein Rock!“, fügt sie hinzu. Nicoles Augen strahlen: "Das war so
ein wunderschöner Rock, wenn ich mich drehte wirbelte er so toll herum!"
Seilspringen
Niels war zehn Jahre alt, als er und seine Eltern ihren ersten Termin bei
Professor Cohen hatten. Greet erzählte der Professorin, dass Niels sich
immer wie ein Mädchen verhalten hatte und mit Spielsachen von Mädchen
spielte. Nicole: "Für mich war das ganz normal. Ich dachte nie: Ich bin
anders als die anderen Jungen. Ich fand es einfach schöner, mit Mädchen zu
spielen." In der Schule war er immer bei den Mädchen und in den Pausen
machte er Seilspringen mit ihnen. "Niemand fand das eigenartig oder achtete
irgendwie darauf." Ciska: "Ich fing an, über Niels nachzudenken. Ich kannte
einen schwulen Jungen in meiner Klasse. 'Er, dachte ich, war eher wie mein
Bruder, so zart, lieb und freundlich, ganz anders als die meisten anderen
Jungen."
Puzzleteile
Dann fand eine ausführliche psychologische Untersuchung statt. Vier mal war
Niels mit seinen Eltern in der Universität. Die Ergebnisse bestätigten ihren
Verdacht. Greet: "Professor Cohen sagte uns, dass Niels, obwohl er noch sehr
jung war, sich als Mädchen fühlte und nicht als Junge." Niels und seine
Eltern sahen, wie sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügten. Nicole:
"Ich fing an, alles zu verstehen. Das Bettnässen war ein Zeichen dafür, dass
ich mich als Junge nicht richtig fühlte. In der Schule war ich schnell
verwirrt. Ich konnte nicht das Mädchen sein, das ich sein wollte. Wenn ich
mich jetzt so daran erinnere, es war furchtbar. Im Hinterkopf hatte ich den
Gedanken: Ich kann nicht ich selbst sein. Zu Hause konnte ich dem ganzen
entfliehen. Ich fand es überhaupt nicht verrückt, wenn ich mich als Mädchen
anzog oder wenn ich auf meinem Bett mit Barbies spielte. Nur in der Schule
hatte ich das Gefühl, dass ich mich zurückhalten muss, damit andere Jungen
nicht denken, dass ich nicht normal bin, wenn ich mit Mädchen über
Mädchenangelegenheiten spreche".
Leidensgefährten
Als die Ergebnisse der psychologischen Untersuchung vorlagen, ging alles
ganz schnell. Nicole war gerade elf, als sie mit ihren Eltern zum ersten Mal
zu einem Treffen der Berdache- Organisation ging. Greet: "Als wir da
ankamen, bekam Neils große Augen. Da waren viele Kinder, die so empfanden
wie er." Ciska: "Ich war auch dabei und stand mit offenem Mund da. ‚Ja',
dachte ich, ‚das Mädchen da ist eigentlich ein Junge und der Junge da ist
eigentlich ein Mädchen.’ Endlich gab es eine Erklärung für Neils’ Problem –
erst zu diesem Zeitpunkt erkannte ich, dass es sehr viele Kinder gibt, denen
es genauso geht, und dass das gar nicht so ungewöhnlich ist. Niels spielte
an diesem Tag mit den anderen Kindern und lernte viele in seinem Alter
kennen. Am nächsten Tag wollte er nicht als Junge zur Schule gehen. Er tat
es dann aber doch und erzählte mir, als er wieder nach Hause kam, wie
traurig er gewesen sei und dass er in der Schule geweint habe. Dann sagte
er: "Gestern (in der Berdache- Gruppe) konnte ich das erste Mal ganz ich
selbst sein."
Ein schwerer Schritt
Einerseits wollte Niels allen in der Schule von seinen Gefühlen erzählen,
andererseits hatte er aber auch Angst davor. Greet sprach persönlich mit der
Schuldirektorin. Sie meinte, es wäre wohl das Beste, zunächst den Eltern der
Kinder davon zu erzählen, damit diese es dann einfühlsam zu Hause ihren
Kindern sagen können. Zu einem Elternabend wurde dann Neils Wunsch, ein
Mädchen zu werden öffentlich bekannt gegeben. Greet erzählt davon: "Nach der
Bekanntgabe war es totenstill. Ich stand da mit schweißnassen Händen. Dann
fingen zwei Eltern an zu klatschten und sagten, es wäre sehr mutig von mir,
öffentlich darüber zu reden. Am nächsten Tag brachte mir eine Mutter
Apfelkuchen. Ich habe mich nie für Neils geschämt. Ich hatte nur Angst, dass
er nicht verstanden und akzeptiert werden würde. Ich dachte immer, nur ich
könnte ihn wirklich verstehen. Ich wusste nicht, ob die Leute nur denken
würden, es ginge sie nichts an, oder aber, ob sie denken würden, dass das
Geschlecht eines Kindes bei der Geburt klar sei und nicht geändert werden
sollte.
Um das zu klären, schrieb sie einen Brief, der in der Kirchenzeitung abgedruckt wurde. Sie bekam darauf sehr positive Reaktionen. Greet: "Niels hat ab und zu bei einem Jugendgottesdienst Saxophon gespielt. Manchmal trug er sein Haar wie ein Mädchen oder trug Schmuck. Mir war das immer nicht angenehm. Mir war, als könnte ich die Männer denken hören: ‚Was für eine Mutter würde ihren Sohn wie ein Mädchen herumlaufen lassen!’ Jetzt, da sie alles wussten, und das es nicht eine verrückte Macke war, fühlte ich mich wesentlich besser."
Von Neils zu Nicole
Die Mitschüler reagierten auch positiv, als Neils ihnen erzählte, dass er
wirklich ein Mädchen sei. Er bekam eine Menge Fragen. Manche hatten schon
lange etwas vermutet. Jetzt wurde es voll akzeptiert. Sofort danach ging
Neils seine ersten eigenen Mädchensachen zu kaufen. Nicole: "Es war eine
Weste und ein kurzes geblümtes Wollkleid." Er ließ auch seine Haare wachsen
und wählte einen Mädchennamen: Nicole. "Anfangs war es schwierig, ihren
neuen Namen zu verwenden", sagt Greet, "es fühlte sich so fremd an." Ich
rief sie einmal: "He, Nicolleke", aus Spaß. Mein Mann vermachte sich oft.
Bald danach beschloss ich, dass es Zeit war, der ganzen Kirchengemeinde die
„neue Nicole“ vorzustellen. Für die Sommerferien planten wir, zwei Wochen im
Haus eines Freundes zu sein. Dort konnte sie endlich Nicole sein, ein
richtiges Mädchen. 'Das bin ich” sagte sie! Sie erntete eine Menge
Bewunderung und bekam Komplimente für ihr weibliches Erscheinungsbild und
ihr Verhalten!
Behandlung
Nicole nimmt jetzt Medikamente, um die männliche Pubertät zu verhindern, die
noch nicht begonnen hatte. Dadurch werden Bartwuchs und Stimmbruch
verhindert. Es gibt Vorteile, die geschlechtsangleichende Operation zu
verzögern, obwohl Nicole unbedingt so schnell wie möglich operiert werden
möchte. Greet: "Als ich ihr die erste Tablette gab, fragte ich mich noch:
‘Tun wir auch das Richtige für sie?' Aber wir haben lange darüber
nachgedacht und es uns nicht leicht gemacht. Wenn es an der Zeit ist, muss
man sich entscheiden. Bis zur Operation kann alles rückgängig gemacht werden
und Neils könnte noch ein Mann werden, wenn er wollte. Im Moment ist Nicole
sehr glücklich in ihrer neuen sozialen Rolle." Nach diesen Worten schaut
Nicole mit einer Mischung aus Stolz und Liebe zu ihrer Mutter. Ciska
unterbricht die Stille: "I dachte nie: 'Tu das nicht.' Du hättest dich nie
so weit gewagt, um dann zurück zu wollen, damit würdest du dich selbst
betrügen. Ich bewundere Nicole sehr. Ich habe die ganze Zeit verfolgt, was
sie bisher durchgemacht hat. Nicht dass ich denke, mein Geschlecht ändern zu
müssen, aber, mir wurde in manch anderer Hinsicht klar, dass ich werden
kann, was immer ich will. Ich muss nicht auf die Ansichten und Meinungen
anderer Leute Rücksicht nehmen. Nicole muss in der Lage sein, sie selbst zu
sein."
Hänseln
Trotz der anfänglichen Akzeptanz ihres Rollenwechsels sind Beleidigungen und
Hänseleien ein anhaltendes Phänomen in Nicoles Leben. Dieses Problem hat sie
vor allem mit Schülern anderer Klassen, die die ganze Geschichte gar nicht
kennen oder irgendwelche Märchen gehört haben. Manchmal wird sie
„Transvestit“ genannt. Jetzt geht sie in eine weiterführende Schule, in der
auch das Gerücht umging, sie wäre ein Transvestit. Greet schrieb einen Brief
an die Eltern, aber manchmal gibt es immer noch Vorfälle dieser Art. "Vor
kurzem setzten sich während der Pause zwei Mädchen zu mir", erinnert sich
Nicole. "Die eine sagte der anderen, so dass ich es hören konnte: Das
Mädchen neben mir ist in Wirklichkeit ein Junge. Es ist unangenehm, dass ich
mich immer dafür rechtfertigen muss, ein Mädchen zu sein." Meistens kann sie
mit den Beleidigungen ganz gut umgehen. Sie hat ein paar wenige Freunde, mit
denen sie über alles reden kann. "Sie behandeln mich immer als ein Mädchen
und denken nie, ich wäre etwas anderes."
Nicoles Zimmer
An der Tür von Nicoles Zimmer ist ein Mosaik mit ihrem Namen; sie hat es
selbst gemacht. „Ich habe auch irgendwo eins mit Niels drauf", sagt sie. Sie
zeigt es uns und legt es dann wieder weg; es gehört zu ihrer Vergangenheit
und nicht zur Gegenwart. Ihr Zimmer ist voll von Plüschtieren und besonders
von Barbies. „Tja, ich habe mindestens dreißig", sagt sie. Eine schwarze,
eine Ballerina und sogar eine schwangere Barbie. „Sieh nur, wenn du das Kind
aus dem Bauch nimmst, wird er ganz flach.“
Ungeduld und Frust
Nicole denkt wie ein Mädchen, obwohl sie körperlich noch ein Junge ist. "Ich
finde es ziemlich öde, dass ich einen Penis habe", sagt sie. "Ich bin immer
noch im falschen Körper." Mit 16 wird sie ihre Hormontherapie beginnen und
dann werden ihre Brüste wachsen. Mit 18 wird sie ihre
geschlechtsangleichende Operation haben. Dann wird der Penis entfernt und
eine Vagina wird gebildet. Das dauert noch 5 Jahre. “Einerseits habe ich
Angst davor, aufgeschnitten zu werden. Andererseits bin ich sehr ungeduldig
und die 5 Jahre können nicht schnell genug vergehen. Manchmal bin ich ganz
verzweifelt, dass ich noch so lange warten muss. Ich muss alles auf später
verschieben. Einmal verliebte ich mich in einen Jungen, aber als der
herausfand, dass ich noch einen Penis habe, wollte er nichts mehr von mir
wissen. Ich kann verstehen, dass der Junge es abschreckend fand, aber es hat
mich sehr verletzt. Das Einzige was ich noch tun konnte war, zu meinen
Freunden zu gehen, mir alles von der Seele zu reden und zu heulen.“
Eines Tages werde ich eine Frau sein
Lebhaft erzählt Nicole: "Ich trage schon einen BH. Um die Cups ist weiße
Spitze. Erst habe ich ihn ausgepolstert, jetzt habe ich Silikonkissen, die
realistischer aussehen und mir einen schönen Busen machen.“ Nicole hat einen
Traum: “Eines Tages werde ich vollständig weiblich sein und eine Familie
haben. Ich weiß, dass ich keine eigenen Kinder bekommen kann, aber ich
möchte welche adoptieren. Ich will auch eine berühmte Schauspielerin
werden."
"Was werde ich machen, wenn ich 18 bin und einen vollständig weiblichen Körper habe?
Ich werde ganz groß feiern und .…. mich verlieben! "
Hier seht ihr ein paar weitere Bilder von Nicole, die im Originalartikel nicht enthalten waren.
Nicole in einer niederländischen Fernsehsendung über junge Transsexuelle
*Der Originalartikel: “Neils
werd Nicole“ wurde im November 2002 in flämischer Sprache auf der Info-
Seite für Transgender: "Landelijke
Kontaktgroep T&T (LKG T&T)" veröffentlicht, die Quelle war: "Friend
number 48, through Gijsbers". Der Artikel wurde von
Barbara Blake ins Englische übersetzt und von
Sonia John überarbeitet. Barbara hat selbst eine Tochter, die
Transgender ist und würde sich gerne zu den angesprochenen Problemen
austauschen. Sie kann über den folgenden Link erreicht werden:
barbara_blake65 (at) yahoo.co.uk
Ausgehend von der englischen Übersetzung wurde der Artikel
von Vivian Silver, M.D., Ph.D. ins Deutsche übersetzt.
Seht Euch auch die folgenden Artikel an, die von Barbara Blake aus dem
Flämischen ins Englische übersetzt wurden:
NICOLE'S SPEECH TO HER CLASS: "Mummy, I want to become a girl!"
Wrong Body….They have that 'pecker'
Deutsche Übersetzung der englischen Version von
Vivian Silver, M.D., Ph.D.
NICOLES REDE VOR IHRER KLASSE
"Mutti, ich möchte ein Mädchen werden!"
Nicole (13) war Gast in einer Fernsehsendung über Transgenderkinder. Sie entschied sich, ihrer Schulklasse über sich zu erzählen und zu erklären, was eine vom Körpergeschlecht abweichende Geschlechtsidentität bedeutet. Hier ist der Text ihrer Rede:
Abweichende Geschlechtsidentität, was ist das? Wenn das bei Jungen auftritt, fühlen sie sich als Mädchen und benehmen sich auch so. Es gibt aber auch Mädchen, die sich als Jungen fühlen.
Ich gehöre zu den am Anfang genannten Jungen!
Ich spiele mit Barbies und anderen Mädchenspielsachen und ich trage Schmuck.
Schon als ich drei Jahre alt war wusste ich, dass ich kein Junge sein
wollte; Ich steckte meine kurzen Haare hoch, trug Ringe und Armreifen und
zog Röcke an. Ich spielte unwahrscheinlich gerne mit meiner Schwester und
ihren Barbies.
Gewöhnlich hassen es Jungen, mit Barbies zu spielen, dafür mögen sie Spielzeugsoldaten und Lego-Cowboys. Ich habe auch Lego, aber es ist Hexen- und Prinzessinnen-Lego. Ich mag es sehr, mit Mädchen zu spielen und wenn nicht, bin ich lieber allein. Jungen mögen Fußball, aber darüber brauche ich euch nichts zu erzählen.
Immer wenn ich an meinem Geburtstag zur Schule kam, musste ich allen erzählen, was für Geschenke ich bekommen habe. Meistens bekam ich auch etwas, über das ich reden konnte, wie z.B. ein Buch oder ein Spiel. Aber einmal bekam ich nur eine Barbie und ich traute mir nicht, davon zu erzählen. Ich wurde auch oft für ein Mädchen gehalten, weil ich eine so hohe Stimme habe, aber mehr wusste niemand. Und jetzt kann ich vollständig als Mädchen auftreten und muss niemandem vormachen, ich wäre jemand anderes.
Wir sahen einmal eine Fernsehsendung über einen Jungen, der sich wie ein Mädchen anzog und mit Barbies spielte. Da fingen wir an zu verstehen. Meine Eltern sahen den Jungen Willem und verstanden den Begriff “abweichende Geschlechtsidentität” und wussten, dass ich auch daran leide. Meine Mutter schrieb einen Brief an den Sender und bekam die Telefonnummer einer Selbsthilfegruppe von Eltern von Kindern mit vom Körpergeschlecht abweichender Geschlechtsidentität. Dann ging meine Mutter mit mir zu Professor Cohen in Utrecht zur Untersuchung und um Rat zu bekommen. Professor Cohen gab uns Fragebögen für meine Eltern, meine Lehrer und mich.
Ich musste alle möglichen Tests machen. Zuerst musste ich in einem Raum mit „Zwei-Wege-Spiegeln“ sitzen. Von der anderen Seite konnten mich Leute beobachten, die ich nicht sehen konnte. Da waren Professor Cohen und ihre zwei Assistenten. Im Raum war Spielzeug für Jungen und Mädchen und Klamotten (Ich probierte nur die an, die mir gefielen.) Die Assistenten beobachteten sehr genau, wie ich spielte. Dann musste ich Fragen beantworten und Puzzles zusammensetzen. Mit Professor Cohen hatte ich einige Gespräche. Es kam heraus, dass ich eine abweichende Geschlechtsidentität habe.
Ich musste mir für Labortests Blut abnehmen lassen. Diese werden gemacht, weil bisher noch niemand weiß, warum manche Kinder diese Probleme haben und andere nicht. Die Selbsthilfegruppe für Eltern heißt „Berdache“, aber was heißt das eigentlich? Es heißt drittes Geschlecht, nicht männlich, nicht weiblich, aber irgendwo dazwischen. Dieses Wort stammt von nord- und südamerikanischen Kulturvölkern.
Letztes Jahr war in Utrecht Familientag. Kinder und Eltern trafen sich auf einem Spielplatz. An diesem Tag traf ich zum ersten Mal Kinder, die die gleichen Probleme haben. Maikel sagte, er würde mich vorstellen. Wir gingen zu den Hütten mit den anderen Kindern. Dort konnte ich mit Guido, Valentijn und Jamie spielen.
In einem großen Gebäude waren Männer mit gefärbten Haaren, die Make-up trugen. Ich sah auch Yvette und Jerke aus der Fernsehsendung. Es war ein wunderschöner Tag. Am nächsten Tag stand für mich fest, dass ich allen in der Schule über mich erzählen werde.
Seit dem Familientag habe ich einen neuen Freund, Jamie. Ich schreibe mich mit ihm und wir telefonieren miteinander. Als er mich einmal besuchen wollte, sagte meine Mutter, kein Problem, er könne auch gerne über Nacht bleiben. Er kam dann auch. Ich bin so froh, dass ich einen Freund habe, dem es genauso geht wie mir.
Fußnote:
Bevor ich zu meinen Mitschülern sprach, rieten meine Lehrer, dass zunächst deren Eltern informiert werden sollten, damit diese mit ihren Kindern reden können. Danach durfte ich vor meine Klasse. Ich dachte, die Kinder würde wahrscheinlich erst einmal überhaupt nichts verstehen, weil deren Eltern sicher auch nichts verstehen würden und ihnen somit niemand hat etwas erklären können.
Nach meiner Präsentation bekam ich jedoch eine Karte, auf der stand, dass die Kinder mich so akzeptieren werden wie ich bin.
Neulich bat man mich, vor einer anderen Gruppe zu sprechen. Ich war ziemlich aufgeregt und als ich loslegte hörte ich meine Stimme zittern, aber die Aufregung war ganz schnell weg.
Es gibt noch so viele, die keine Ahnung haben und nichts verstehen. Wahrscheinlich denken die, ich wäre sonderbar oder verrückt, mit Mädchensachen, Ohrringen und Nagellack durch die Gegend zu laufen.
Nicole
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