Lynn's Geschichte

 
Copyright @ 2000-2003,
Lynn Conway.
 

Photo of Lynn by Bill Pugliano, Oct. 11, 2000

Das ist die Geschichte eine Frau, die der Gesellschaft erstaunliche Beiträge geleistet hat,obwohl sie -
einfach durch den Versuch sich selber zu sein - Verbannung und Stigmatisation erfahren musste.
Die Geschichte erzählt, wie sie es trotzdem schaffte, indem sie eine
neue Identität annahm und ihr Leben im "Tarn Modus" lebte.
 
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Lynn Conway is eine berühmte Pionierin auf dem Gebiet der Mikroelektronik-Chip-Entwicklung. Ihre Inovationen während den 70er Jahren im Xerox Palo Alto Research Center (PARC) haben die Chip Entwicklung weltweit beeinflusst. Viele High-Tech Firmen und Computing Methoden haben ihren Ursprung in Lynn Conways Arbeit.

Tausende von Chip Entwicklern haben sich ihre Fertigkeit mittels Lynns Standart Werk "Introduction to VLSI Systems" angeeignet. Das Buch hat sie als Co-Autorin mit Professor Carver Mead von Caltech verfasst. Weitere tausende von Chip Entwicklern haben ihr erstes VLSI Design Projekt unter Benutzung des staatlichen MOSIS Prototyp Systems durchgeführt, welches direkt auf Lynns Arbeit im PARC basiert. Ein Grossteil der modernen Silicon-Chip-Enwicklungs-Revolution findet ihren Ursprung in Lynns Arbeit.

Lynn hat viele Preise gewonnen. Ehrungen wurden ihr zuteil, unter anderem die Wahl zum Mitglied der Nationalen Akademie für Ingenieurwesen, die höchste berufliche Anerkennung, die ein Ingenieur erreichen kann.

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Was bis vor kurzem niemand wusste: Lynn hat bereits in den 60er Jahren Pionierarbeit für IBM geleistet. Gleich nach Abschluss ihres Studiums, erfand sie eine wirksame Methode zur 'Verarbeitung mutlipler, ungeordneter Instruktionen pro Maschinen-Zyklus in Supercomputern'. Mit der Lösung dieses fundamentalen Computer-Architektur Problems in Jahre 1965, machte sie die Konstruktion des ersten, wirklichen Superscalar Computers möglich und war an dessen Design in der IBM beteiligt. Lynn nannte ihre Erfindung "Dynamic Instruction Scheduling" (DIS).

In den 90er Jahren beinhalteten die Chips genügend Transistoren, um einen ganzen Superscalar Computer auf einem einzigen Chip zu speichern. Lynn's DIS Erfindung wurde plötzlich auf beinahe allen neuen PC Chips verwendet und machte diese um ein Vielfaches leistungsstärker.
Lynn's Arbeit übte aber noch einen weiteren wichtigen Einfluss auf die moderne Informations- Technologie-Revolution aus.

Die meisten Computer Ingenieure glaubten, DIS sei das Resultat einer jahrzehntelangen Arbeit und hatten keine Ahnung, dass die Methode bereits im Jahre 1965 erfunden worden war. Die Tatsache, dass ihre wundervolle Erfindung so vielfache Anwendung fand und in sämtlichen Computer Architekur Fachbüchern beschrieben wurde, ohne Bezug auf dessen Erfinderin, verursachte Lynn grosse Qualen.

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Wie konnte dieser Fehler passieren? Wieso hat Lynn während mehr als drei Dekaden über ihre Arbeit bei IBM geschwiegen?

Die Anwort ist, dass Frauen wie Lynn, vorallem in der Vergangenheit, in einem Holocaust von Stigmatisation, Verfolgung und Gewalt gelebt hatten. Mit der Enthüllung ihrer früheren Identitäten, riskierten sie oft physische Gewalt gegen die eigene Person und grossen Schaden für ihre Karrieren und ihre persönlichen Beziehungen.

Denn Lynn wurde als Junge geboren und aufgezogen. Das war ein schrecklicher Fehler, denn Lynn hatte ein weibliches Gehirn und die geschlechtliche Identität eines Mädchens. In den Vierziger und Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, war aber kein Wissen zu diesem Thema vorhanden und Lynn wurde gezwungen, als Junge aufzuwachsen. Sie versuchte ihr Bestes den Erwartungen zu entsprechen, litt aber fürchterlich unter den Umständen. Sie war immer noch ein junger Mann und hatte den Namen eines jungen Mannes als sie für IBM arbeitete.

Nach jahrelangem Suchen, fand sie endlich Hilfe bei dem Pionier Arzt Harry Benjamin, M.D. im Jahre 1966, kurz nachdem dieser sein Standart Werk " The Transsexual Phenomenon", publiziert hatte. Das war der erste Text, der die wahre Natur und die medizinischen Möglichkeiten für Lynns Leiden beschrieb.

Mit Doktor Benjamins Hilfe, begann Lynn im Jahre 1967 eine medizinische Behandlung. Sie war eine der frühen transgeschlechtlichen Frauen, die mittels hormoneller und chirurgischer Eingriffe ihren Körper vollständig umwandelte, vom Körper eines Mannes zum Körper einer Frau. Betrüblich war, dass Lynn unmittelbar bevor sie sich 1968 dem chirurgischen Eingriff für ihre Geschlechts-Umwandlung unterzog, von IBM gekündigt wurde, wegen ihrer Transgeschlechtlichkeit. So verlor sie all ihre Verbindungen zu ihrer wichtigen Arbeit.

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Lynns Fall war der erste bei IBM. Die Idee, dass eine beruflich hochgestellte Persönlichkeit eine Geschlechts-Umwandlung anstreben könnte, hatte das IBM Management total geschockt. Die meisten transgeschlechtlichen Frauen dieser Zeit, die sich für eine Geschlechts-Umwandlung entscheiden, arbeiteten als "Frauen-Darsteller" oder Prostituierte. In dieser Zeit wagten nur diejenigen eine Geschlechts-Umwandlung, die sich ganz sicher waren, dass sie als Frauen durchgehen würden, die, die am Rande der Verzweiflung standen und diejenigen die nichts zu verlieren hatten. Das IBM Top Management brach in einen Sturm der Entrüstung aus, als Lynns Vorhaben bekannt wurde. Mit grosser Gewissheit kann heute angenommen werden, dass die Entscheidung, Lynn zu entlassen, durch T. J. Watson, Jr selbst getroffen wurde.

Lynn gelang es, sich ein fragiles Beziehungsnetz aufzubauen, ein Kreis von Freunden und Verwandten, die ihr halfen und sie unterstützten. Als aber IBM sie entliess, verlor sie jegliche Unterstützung, das Bezeihungsnetz zerriss, denn niemand wollte mehr an Lynns Vorhaben glauben. Lynn ging ins Ausland um den chirurgischen Eingriff durchführen zu lassen - ganz alleine. Sie verlor nicht nur ihre Karriere und ihre berufliche Reputation, sondern auch ihre Familie, ihre Verwandten, Freunde und Kollegen. Lynn sah vor sich eine angsterregende, unsichere Zukunft, in der sie einzig und alleine auf die Hilfe und Unterstützung ihrer Aerzte zählen konnte.

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Als Lynn zurückkehrte, vollzog sie ihren sozialen Übergang und nahm ihren neuen Namen an. Sie begann sich eine neue Karriere aufzubauen und arbeitete als bescheidene Vertragsprogrammiererin ohne Vergangenheit. Tapfer um ihr Leben kämpfend, bewies sie mit der Erfüllung ihrer neuen Rolle, dass das IBM Management und ihre Familie und Freunde, die sie verlassen hatten, mit ihren negativen Voraussagen unrecht gehabt hatten. Ganz alleine ging Lynn in die Welt hinaus, fand neue Freunde und arbeitete hart, um in ihrem neuen Leben zu reüssieren.

Nach der Transformation blühte Lynn auf, sie war glücklich und voller Leben, so dass auch ihre Karriere einen steilen Anstieg nahm. Auf ihrem Weg nach oben, arbeitete sie in einigen Firmen und landete schliesslich, im Jahre 1971, bei Memorex in einem Computer Archithektur Job. 1973 wurde sie durch Xerox's begeisterndes Palo Alto Research Center rektutiert, gerade als dieses gegründet wurde.

1978, nur gerade 10 Jahre nach ihrer Geschlechtsumwandlung, war Lynn, auf ihrem Gebiet für VLSI Inovationen, kurz vor dem Durchbruch zu internationalem Ruhm. Zu dieser Zeit schrieb sie ein Lehrbuch zu diesem Thema und führte am M.I.T. den Prototyp eines Kurs für VLSI Systemen durch.

Innerhalb von 2 Jahren übernahmen Universitäten in der ganzen Welt ihre Texte, um ähnliche Kurse durchzuführen. Das Verteidigungs-Ministerium startete ein neues Hauptprogramm, um weitere Forschung auf ihrem Arbeitsgebiet zu sponsoren. Neu gegründeten Firmen begannen das Wissen zu kommerzialisieren, indem sie es für ihre Produkte umzusetzen. All das passierte, ohne dass die Leute etwas über Lynns heimliche Vergangenheit erfuhren. Lynn hätte niemals überlebt und wäre so erfolgreich gewesen, wenn die Menschen davon gewusst hätten.

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In den 80er und 90er Jahren genoss Lynn ihre erfolgreiche und einflussreiche Karriere und ein wundervollers, abenteuerliches, erfüllendes, glückliches Privat Leben. Sie ist jetzt Professorin für Elektro-Ingenieurwesen und Informatik, Emerita, an der Universität von Michigan in Ann Arbor, wo sie jahrelang als 'Verbindungs-Dekanin' für Ingenieurwesen gewirkt hat. Sie lebt jetzt auf einem Landsitz im ländlichen Michigan mit ihrem Ehemann Charlie. Lynn und Charlie sind seit 1987 ein Paar.

Wie auch immer, auch 31 Jahre nach ihrer Geschlechtsumwandlung blieb Lynn in ihrem "Tarn Modus". Nur ihre engsten Freunde wussten über ihre Vergangenheit bescheid. Lynn wusste von anderen transgeschlechtlichen Frauen, die sozial geächtet, isoliert, geschlagen, vergewaltigt, ermordet oder in den Selbstmord getrieben wurden, wenn sie von brutalen und hasserfüllten Menschen entdeckt wurden.

Für Jahre lebte Lynn mit einem ständig wachen Sinn für Gefahr. Sie fürchtete, dass die Enthüllung ihrer Vergangenheit sie um ihre zivilen Rechte, ihre staatlichen Rechte und ihre Rechte als Arbeitnehmerin bringen könnte, und dass sie unter Isolation in ihrem Arbeitsleben und ihren persönlichen Beziehungen zu leiden hätte.

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Im Jahre 1999 stolperten Computer Historiker über Lynns frühere Arbeiten bei IBM. Sie verfolgten die Spur bis zu ihr zurück, und Lynns Vergangenheit wurde vor ihren Kollegen enthüllt. Zuerst erschrak sie, realisierte dann aber nach und nach, dass sich die Zeiten möglicherweise genügend geändert hatten, dass sie sich keine Sorgen machen musste, ab jetzt "Out" zu sein. Gewiss gibt es nichts für das sie sich schämen müsste und tatsächlich ist sie sehr stolz auf ihren Erfolg in ihrem privaten, wie in ihrem beruflichen Leben.

Gleichzeitig war Lynn bestürzt, dass transsexuelle Frauen noch immer so unmenschlich behandelt wurden von Eltern, Verwandten, Arbeitgebern, dem Rechtssystem und einem Grossteil der Gesellschaft. Die totale Zurückweisung, die transgeschlechtliche Teenager teilweise von ihren Familien erfahren, ist besonders tragisch, vorallem weil es häufig passiert, nachdem sich die Mädchen zum ersten Mal mit einem Hilferuf nach Aussen gewandt haben. Oft werden sie dadurch für Jahre dazu verurteilt, eine Existenz am Rande der Gesellschaft zu fristen.

Lynn begann sich zu überlegen, dass ihre Geschichte möglicherweise für andere Menschen hilfreich sein könnte. Soziale Ansichten sind zum Teil ein durch Medien verusachtes Problem. Bilder von Transsexualismus kommen routinemässig aus der Phase der "Umwandlung". In diesem Zeitraum können sich die Medien mit aufgeilenden, schockierenden und oft peinlichen Aspekten der Geschlechts-Umwandlung eines Menschen befassen. Die Geschichten scheinen oberflächlich Sympathie auszudrücken, aber oft vermitteln sie ein trauriges, trostloses Bild. Der Leser bleibt zurück mit einem Gefühl von Mitleid für die "armen Dinger", und "möchte auf keinen Fall, dass so etwa in seiner Familie passieren würde"!
Was nicht übermittelt wird, ist das Wunder der Befreiung, dass ein transgeschlechtliches Mädchen empfindet, wenn es aus der Falle eines männlichen Körpers befreit wird und das Glück, dass sie später als Frau findet. Die Menschen erkennen gar nicht, wieviele zehntausende von post-operativen Frauen unter uns leben, sie sind erfolgreich und vollkommen akzeptiert als Frauen. Die Öffentlichkeit erfährt einfach nie etwas über diese Erfolge.

Wieso ist das so? Weil beinahe alle diese Frauen im "Tarn-Modus" leben, genauso wie Lynn das tat, voller Angst, was vielleicht passieren könnte, wenn ihre Vergangenheit enthüllt würde. Währendessen leben zehntausende von pre-operativen jungen Transsexuellen in Angst und Verzweiflung vor der eigenen Zukunft. Oft werden sie ausgeschlossen von ihren Familien und verlieren ihre Jobs, wenn sie ihre Probleme ausdrücken und medizinische Hilfe suchen - genau wie das bei Lynn der Fall war.

Lynns Fall ist der erste, wirklich erfolgreiche, mit einem "Coming-out" nach einem Leben im "Langzeit-Tarn-Modus".Ihre Geschichte soll jungen Transsexuellen Hoffnung geben. Es soll Eltern helfen, eine Möglichkeit zum Glücklichsein für ihre transgeschlechtlichen Töchter zu erkennen, vorallem wenn die Eltern ihre Kinder in ihrer Bemühung unterstützen, ihre Knabenkörper umzuwandeln und früh im Leben Frauen zu werden. Auch soll es Arbeitgebern eine Anregung für eine Denkpause sein, bevor sie jemanden entlassen - einfach nur weil diese Person transsexuell ist.

Der Tag wird kommen, an dem eine Geschlechts-Umwandlung nicht mehr als trauriges, beschämendes und tragisches Ereignis betrachtet wird, sondern als wunderbares, lebesspendendes Wunder, für diejeneigen, die unglücklicherweise mit einem falschen Geschlecht geboren wurden. Lynn hofft, dass sie diesem Tag noch erleben wird.

 

Für Hintergrund Informationen zu den Themen Transgeschlechtlichkeit, Transsexualismus oder Intersexualismus, konsultieren Sie TG/TS/IS Info.
Für mehr über Lynn's Ausführungen, gehen sie auf BioSketch.
Mehr über ihre Geschichte, finden Sie unter Retrospective und
Lynn's Homepage: http://www.lynnconway.com

 

German Translation by
Willa Cartwright
 
2003

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